Donnerstag, April 19, 2007

Porcupine Tree - Fear Of A Blank Planet

PORCUPINE TREE (v.l.n.r.):
Richard Barbieri, Steven Wilson, Colin Edwin, Gavin Harrison

Wenn man berücksichtigt, dass die ARD mit ihrer Kampagne "Kinder sind Zukunft" das Augenmerk der Öffentlichkeit mehr auf die zukünftigen Rentenzahler lenken will, könnte PORCUPINE TREE's neuestes Album zu keinem besseren Zeitpunkt erscheinen. Das Thema ist das gleiche, jedoch wird auf "Fear Of A Blank Planet" ein wesentlich düstereres Bild dieser Zukunft gezeichnet. Mastermind Steven Wilson hat ein beeindruckend bedrückendes, vielschichtiges und episches Klangbild dessen geschaffen, wie er die intellektuelle Verrohung der kindlichen Psyche mittels einer gewaltigen Informationsflut durch das Internet und anderen Medien sieht. Sinnbildlich dafür sind die Illustrationen im Booklet und vor allem das, in blaues Licht getauchtes, Kind auf dem Cover, wessen Augen einen Einblick in sein Innerstes gewähren. Die absolute Leere.

Eingeläutet von einem einprägsamen Lick auf der Akustikgitarre beginnt die musikalische Momentaufnahme des kindlichen Alltags mit dem Titeltrack "Fear Of A Blank Planet". Dieser ist, obgleich in überspitzter Form, inhaltlich repräsentativ für das Album. Musikalisch eher weniger, dazu aber später mehr. Die typischen PORCUPINE TREE-Riffs treffen hier auf psychedelisch wabernde Gitarrenklänge und druckvolle Soundwände, welche von dezent eingesetzten Synthezisereffekten ergänzt werden. Diese umhüllen den von Langeweile und Drogenexzessen gezeichneten Alltag der Kids, welche selbigen ohne die permanente Penetration vom Flimmern des Fernsehers, der Omnipräsenz von Sex, dem X-BOX-Gott und der Einnahme von den kleinen bunten Pillen wohl nicht zu überstehen glauben. Die "Mutter ist eine Schlampe" und der Vater hat jeglichen Versuch der Kommunikation mit dem eigen Fleisch und Blut aufgegeben. Beide können nicht verhindern, dass man als Einzelgänger seine über proportional zur Verfügung stehende Freizeit am liebsten mit einer geklauten Pistole totschlägt. Oder totschießt.
Wie eingangs erwähnt, trifft dieses Szenario am ehesten die Thematik des Albums. Allerdings ist dieser Song - trotz seiner knapp achteinhalb Minuten - der "kompakteste" auf dem Album. Der Rest des Albums bedarf womöglich einiger Anläufe, bis es seine "Sperrigkeit" verliert.

"My Ashes" kündigt sich mit melancholisch klirrenden Effekten und einer kurz darauf einsetzenden, traurig klimpernden Akustikgitarre an. Akzentuiert eingesetzte Streicher verleihen dem Song eine zusätzliche, aber nicht aufgesetzt wirkende Dramatik, welcher das geistige Innenleben der Kinder umschreibt. Dieses ist von den Problemen der Eltern, Erinnerungen an andere Zeiten, Isolation und dem vergessen des Kind seins geprägt. Einer der ruhigsten Songs auf dem Album, welcher trotz manchmal kitschig anmutender Gesangslinien nicht in die Kategorie Ballade gesteckt werden sollte, da es hier nicht um die schönen Dingen im Leben geht, sondern um die totale Vereinsamung inmitten der eigenen Familie.

"Anesthetize" bietet mit seinen fast 18 Minuten (!) die komplette Bandbreite der musikalischen Potenz dieser Band, ohne auch nur eine Sekunde zu langweilen. Um diesen Epos augenscheinlich mehr Struktur zu verleihen, hat man es in drei fiktive Teile unterteilt, in musikalischer, wie in textlicher Hinsicht.

Teil Eins beginnt mit einem treibenden Schlagzeug und wird begleitet von hie und da erklingenden Xylophon-Akzenten. Steven Wilson's anklagender Gesang erfährt später Unterstützung durch eine von Effekten verzerrte Gitarre und schafft somit eine eigenartige, leicht beklemmende Atmosphäre, welcher man sich nicht zu entziehen vermag. Diese gewinnt durch das herrliche Solo von RUSH-Gitarrist Alex Lifeson an zusätzlicher Intensität. Dem nicht unähnlich ist die Handlung dieses "ersten Aktes". Sie geht Hand in Hand mit dem, was "My Ashes" bereits ansprach. Das eigene Kind dient hierbei als Ventil für die eigenen Probleme, muss sie hinnehmen und auf den eigenen Haufen Sorgen schaufeln, doch möchte es seinem Unmut Luft verschaffen, heißt es nur: "Shut up, be happy, stop whining, please."

Von dem Gewicht der Sorgen erdrückt, sucht dieses Kind Erleichterung in den Weiten der Fernsehlandschaft. Mit dem folgenden Konsum von MTV und diversen Tabletten kann es dem Rausch der Lethargie noch intensiver frönen. War dies noch nicht genug Ablenkung, schlurft er/sie wie ein Zombie durch die Läden im Einkaufszentrum, vollgepumpt mit nichtigen Informationen und Drogen. Der Übergang zum fiktiven zweiten Teil dieses Opus' ist fließend. Er präsentiert sich in Form eines von rechts nach links wabernden Riffs, begleitet von entspannten Ambient-Synthesizerklängen, welche ein jähes Ende durch ein donnerndes Riff finden. Im diesem "zweiten Akt" erreicht die vorherrschende dramatische Stimmung ihren Höhepunkt und gipfelt in einem auditiven Vulkanausbruch, als ein mehr als zehn Sekunden andauerndes Inferno an rasantem Metalriffs und sauschnellem Doublebassgeknatter den Weg zum dritten und letzten Teil dieses Kernstücks auf "Fear Of A Blank Planet" ebnet.

Es ist die Ruhe nach dem Sturm. Ein Tag fernab von jeglichen medialen Einflüssen. Ein Tag am Meer. Sonnenschein. Die Lichtstrahlen brechen auf der Wasseroberfläche, während sie das Wasser erwärmen. Wellen brechen an der Küste und es weht eine warme Brise... Diese Szenerie wird durch entspanntes Schlagzeugspiel, hypnotische Xylophon-Klänge, einem warmen Basslauf und Wilson's luftig-leichtem und doch melancholischem Gesang vor dem eigenen geistigen Auge verdeutlicht. So schön diese Arrangements und Wilson's Stimme klingen mögen, so traurig ist auch das Ende von "Anesthetize".

"Sentimental" handelt von dem Gedanken, den womöglich jeder von uns als Kind, wie auch als Erwachsener gehabt hat, bzw. haben dürfte: "I never wanna be old". Der nachdenkliche Charakter und das sphärische Klangbild dieses Songs setzen diesen Gedanken auf imposante Art und Weise in Szene, üben sich aber bei der Umsetzung in Bescheidenheit und "erdrücken" somit den geneigten Hörer nicht mit seiner Fülle. Malträtiert durch die Selbsterkenntnis, droht die Seifenblase der Zerstreuung zu zerplatzen.
Zum einen drängt sich das Bedürfnis nicht älter zu werden in dem von Selbstzweifeln geplagten Kindern auf. Zum anderen zweifelen sie daran, ob die Pillen (stellvertretend für MTV, Pornografie, Musik, Drogen, Diebstahl) tatsächlich hilfreich sind und sie ihr Leben damit verschwendet haben. Ruhig und verträumt beschreibt der Refrain, wie die mürrischen, gelangweilten und berauschten Kinder versuchen, jeden Tag in diesem Zustand einfach "wegzuwischen" bzw. "wegzuwünschen" (die englische Sprache lässt nun mal viel Raum für Interpretationen).

Am Abend: Von inneren Konflikten gebeutelt, wandert das Kind gedankenversunken an den Bahnschienen entlang. Eingetaucht in das orange Licht der untergehenden Sonne, lässt es sich vom iPod berieseln. Genervt vom Mitgefühl und der Fürsorge der Eltern, verwischt es seine Spuren und träumt von einem "Way Out Of Here". PORCUPINE TREE schaffen es mit Leichtigkeit, das Szenario des Song so authentisch im Kopf des Hörers zu rekonstruieren, wie sie es zuvor im letzten Abschnitt von "Anesthetize" getan haben. Die Delay-Sounds der Gitarre und der emotionale, fast bombastische Refrain kreieren ein authentisches Bild dessen, wie sich der Protagonist fühlen muss. Ganz großes Ohrenkino.

Der letzte Song, "Sleep Together", spielt nicht nur mit dem Laut-Leise-Schema, sondern auch mit der Zweideutigkeit des Textes. Ob es hier um den erholsamen Schlaf im eigenen Bettchen, oder den Matratzensport geht, diese Entscheidung sei jedem selbst überlassen. Für übereinstimmendes Erstaunen hingegen sorgen die dramatisch-bombastischen Streicher, welche dem Refrain den nötigen Druck verleihen und dem Album einen imposanten wie bedrückenden Abschluss verleihen.

"Fear Of A Blank Planet" ist eine großartige, aber auch erschütternde Momentaufnahme der Jugend, die von der schier unermesslichen Informationsflut des 21. Jahrhunderts maßgeblich geprägt ist. Es ist ein Fluch und gleichzeitig ein Segen. Wohin das hinführen wird, ist ungewiss...

http://www.porcupinetree.com :::
Fear Of A Blank Planet-Microsite :::
Video zu "Fear Of A Blank Planet"

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